6.1.4. Moleküle mit oktaedrischer Geometrie

Wie kommt es dazu ?

Von einem Atom gehen 6 Bindungen aus. Das Atom hat keine freien (einsamen) Elektronenpaare.

Nach dem VSEPR–Modell stoßen sich die Elektronenpaare ab. Sie versuchen, sich möglichst weit voneinander zu entfernen und ordnen sich daher in den Ecken eines Oktaeders an. Wir nennen diese Anordnung den AL6–Molekültyp.

Molekülgeometrie des AL6-Typs

Bild 1 : Molekül mit oktaedrischer Geometrie, dazu ein Oktaeder.
Oktaedergeometrie interaktiv

Was wissen wir über die Liganden ?

Alle 6 Liganden (d.h. die Atome, die ans Zentralatom gebunden sind) sind äquivalent. Jeder der 6 Liganden hat 4 Nachbarliganden, zu denen er den gleichen Abstand hat. Zum fünften (gegenüberliegenden) Liganden ist der Abstand größer.

Die Bindung eines jeden Liganden zum Zentralatom hat zu den 4 Bindungen zu den Nachbarliganden einen Winkel von 90°, zur Bindung zum gegenüberliegenden Ligand einen Winkel von 180°.

Ansehen : Starten Sie die JSmol–Visualisierung durch Anklicken des Oktaeders in Bild 1. Betrachten Sie das Molekül aus verschiedenen Richtungen und blenden Sie in 3 Schritten einen Oktaeder ein und wieder aus.

Wo tritt oktaedrische Geometrie auf ? Allgemein …

2 Voraussetzungen müssen erfüllt sein :

Dementsprechend sind Moleküle vom Typ AL6 überaus häufig. Verbindungen der verschiedensten Haupt– und Nebengruppenelemente (ab der 3. Periode) zeigen oktaedrische Koordination, ebenso Ionen, die sich mit einer Hydrathülle umgeben haben.

… und konkret : Beispiele

Schwefelhexafluorid-Molekül

Bild 2 : Molekül von Schwefelhexafluorid.

Schwefelhexafluorid SF6. – Das Schwefelatom ist oktaedrisch von 6 Fluoratomen umgeben. Das heißt, das Schwefelatom befindet sich in der Mitte (im Schwerpunkt) des Oktaeders, und die 6 Fluoratome an seinen Ecken.

Bild 2 zeigt die Situation. Das Schwefelatom ist gelb gefärbt, die Fluoatome cyan (hellblau).

Mehr Informationen zu Schwefelhexafluorid finden Sie in Kapitel 23.6.

 

Natrium-hexafluorophosphat-Molekül

Bild 3 : Die Ionen im Natrium–hexafluorophosphat. Daten aus L–288. Farbcodierung : Natrium, Phosphor, Fluor. Bildnachweis.

Natrium–hexafluorophosphat NaPF6. – Gern wählt man bei den Beispielen ungeladene Moleküle. Aber das muss nicht sein. Hier ist eine Verbindung, die aus Ionen besteht. Das eine ist ein einzelnes Natrium–Ion, es hat keine Geometrie. Vom anderen, einem PF6–Ion, kann man die Geometrie bestimmen.

Zuerst zählen wir die Valenzelektronen im PF6–Ion. Das Phosphoratom hat 5, jedes der 6 Fluoratome eines. Dazu kommt ein Elektron, das von der einfach negativen Ladung des PF6–Ions stammt. Zusammen sind es 12 Valenzelektronen, somit 6 Elektronenpaare. Sie ordnen sich gemäß dem VSEPR–Modell an den Ecken eines Oktaeders an. Also hat das PF6–Ion oktaedrische Geometrie.

Bild 3 zeigt das PF6–Ion, das dem Schwefelhexafluorid–Molekül zum Verwechseln ähnlich sieht, zusammen mit einem Natrium–Ion, das zum Ladungsausgleich nötig ist. Die Daten für Bild 3 stammen aus L–288.

Mehr über die Kristallstruktur von Natrium–hexafluorophosphat erfahren Sie in Kapitel xxx – demnächst.

 

Phosphorpentachlorid-Molekül

Bild 4 : Die Ionen im Phosphor­pentachlorid. Daten aus L–292. Farbcodierung : Phosphor, Chlor. Bildnachweis.

Phosphorpentachlorid PCl5. – Weil ich das Ungewöhnliche mag, stelle ich hier Phosphorpentachlorid (mit der Summenformel PCl5) vor. Vielleicht fragen Sie sich jetzt, ob gerade etwas durcheinander gekommen ist. Ganz offensichtlich hat jedes Phosphoratom 5 Liganden, und deren Anordnung ist doch wohl in Kapitel 6.1.6. (Moleküle mit trigonal–bipyramidaler Geometrie) zu finden.

Aber Phosphorpentachlorid ist hier richtig. In festem Phosphorpentachlorid gibt es ein Phosphoratom, das oktaedrisch von 6 Chloratomen umgeben ist. „Ein Phosphoratom” ? Diese vorsichtige Formulierung macht Sie mit Recht misstrauisch. Und wirklich, nicht alle Phosphoratome im Phosphorpentachlorid besitzen oktaedrische Koordination, sonder nur die Hälfte. Und die andere Hälfte ? Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Wenn ein Phosphoratom ein Chloratom mehr hat als ihm eigentlich zusteht, muss ein anderes ein Chloratom weniger haben. Im Phosphorpentachlorid gibt es also PCl6–Einheiten und PCl4–Einheiten (L–292).

Um die Situation voll zu verstehen, zähle ich Elektronen und Ladungen.

Bild 4 zeigt die kleinste Einheit von Phosphorpentachlorid. Sie enthält die beiden Ionen aus dem vorigen Absatz. Man kann die Formel von Phosphorpentachlorid nun genauer schreiben : PCl4+ PCl6. Die Daten für Bild 4 stammen aus L–292.

2 Fragen tauchen an dieser Stelle auf.

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Steckbrief Phosphorpentachlorid
Summenformel PCl5
ausführliche Formel PCl4+ PCl6
Sublimationspunkt 162 °C
Dichte 2,1 g/cm3
CAS–Nr. 10026–13–8
Pinselstrich

Ganz andere Baustelle : Ionenkristalle

Alles, was bis hier geschrieben wurde, gilt für Atome, von denen 6 gerichtete Bindungen (zum Beispiel Atombindungen, polare Atombindungen, Wasserstoffbrückenbindungen) ausgehen.

In einem Ionenkristall sind keine solchen Bindungen vorhanden, die sich abstoßen könnten. Wieviele Anionen sich um ein Kation lagern (und umgekehrt), ist nur eine Platzfrage. Um ein Ion können sich viele kleine, aber nur wenige große andere Ionen anordnen. Die oktaedrische Koordination ist auch in Ionenkristallen sehr häufig.

Hier sind einige Beispiele für Ionenkristalle mit oktaedrischer Koordination.

Natriumchlorid-Kristall

Bild 5 : Natriumchlorid–Kristall, Ausschnitt. Farbcodierung :
Natrium, Chlor. Bildnachweis.

Natriumchlorid NaCl. – Im Natriumchlorid sind die Chlorionen oktaedrisch von Natriumionen umgeben. Bild 5 zeigt einen Ausschnitt eines Natriumchlorid–Kristalls von der Größe einer Elementarzelle. Ein Oktaeder ist eingezeichnet. An seinen 6 Ecken befinden sich 6 Natriumionen (violett gezeichnet), im Zentrum (nicht sichtbar) ein Chlorion.

Genauso sind die Natriumionen oktaedrisch von Chlorionen umgeben.

 

Perowskit-Kristall

Bild 6 : Perowskit–Kristall, Ausschnitt. Farbcodierung :
Strontium, Titan,
Sauerstoff.
Bildnachweis.

Perowskite. – Die Perowskite sind eine große Klasse von Verbindungen. Oft sind Metallionen oktaedrisch von Sauerstoff–Ionen umgeben. Bild 6 zeigt als Beispiel eines Perowskites einen Ausschnitt eines Kristalls von Strontiumtitanat (SrTiO3). Ein Titan–Ion (hellblau gezeichnet, im Innern des Oktaeders nur schwach sichtbar) ist oktaedrisch von 6 Sauerstoff–Ionen (rot) umgeben.

 

Zinnfluorid-Kristall

Bild 7 : Zinn–IV–fluorid–Kristall, Ausschnitt. Daten aus L–259. Farbcodierung : Zinn, Fluor.
Bildnachweis.

Zinn–IV–fluorid SnF4. – Im Zinn–IV–fluorid sind Zinn–Ionen oktaedrisch von Fluorionen umgeben. Bild 7 zeigt einen Ausschnitt eines Zinn–IV–fluorid–Kristalls von der Größe einer Elementarzelle. Ein Oktaeder ist eingezeichnet. An seinen 6 Ecken befinden sich 6 Fluorionen (hellblau gezeichnet), im Zentrum ein Zinnion (violett). Die Zinnionen an den Ecken der Elementarzelle sind ebenso oktaedrisch von Fluorionen umgeben. Jedoch sehen Sie immer nur 3 der Fluorionen, die übrigen gehören zu anderen (nicht gezeichneten) Elementarzellen.

 

Aus der Grauzone

Gold–V–fluorid (AuF5). – Gold–V–fluorid (mit der Formel AuF5) ist ein ungewöhnlicher Stoff, der sich nicht in die bekannten Schubladen einsortieren lässt. Schon deshalb ist er für mich interessant.

Gold hat eine Elektronegativität (→ Kapitel xxx) von 2,54, Fluor von 3,98. Nach der Formel von Pauling (→ Kapitel 3.7.4.) hat die Bindung zwischen den beiden einen Ionencharakter von 40 %. Eine Ionenbindung wie im Natriumchlorid ist es sicher nicht, eine kovalente Bindung wie im Methan genauso wenig. Es ist eine sehr stark polare Atombindung. Oft wird sie einfach als Atombindung beschrieben, aber man sollte sich immer im Klaren sein, dass sie einen kräftigen Ionenbindunsgsanteil hat.

Dimer von Gold-V-fluorid Dimer von Gold-V-fluorid

Bild 8 : Dimer von Gold–V–fluorid. Im unteren Teil sind die Oktaeder der Fluorliganden markiert. Daten aus L–293. Farbcodierung : Gold, Fluor. Bildnachweis.

Goldatome sind flexibel beim Abgeben von Valenzelektronen. Im Gold–V–fluorid hat es 5 Valenzelektronen, und natürlich hat jedes Fluoratom ein Valenzelektron. Zusammen sind das 10 Valenzelektronen. Gold–V–fluorid nimmt aber keine Geometrie an, bei der sich 5 Fluorliganden regelmäßig, zum Beispiel in Form einer trigonalen Bipyramide (→ Kapitel 6.1.6.), um das Zentralatom gruppieren. Das AuF5–System geht einen anderen Weg, um seine Freie Enthalpie (→ Kapitel 4.1.7.) zu minimieren.

Es bildet Dimere (L–293). Das heißt, zwei AuF5–Einheiten lagern sich zu einer doppelt so großen Einheit zusammen. Deren Formel ist Au2F10. Bild 8 zeigt (im oberen Teil) ein solches Dimer. Zählt man die Valenzelektronen, so wird man überrascht. 2 Goldatome besitzen zusammen 10 Valenzelektronen, 10 Fluoratome ebenfalls 10. Zusammen sind 20 Valenzelektronen vorhanden. Auf dem Bild sind aber 12 Bindungen zu erkennen, die eigentlich 24 Valenzelektronen benötigen.

Die Lösung des Rätsels findet sich in den Fluoratomen, die zwischen den beiden Goldatomen liegen. Man nennt sie Brückenliganden, und von jedem gehen 2 Bindungen aus. Für ein Fluoratom sehr seltsam. Die fehlenden 2 Elektronen kommen vom Fluoratom. Die Situation ist analog den Dimeren im Aluminiumbromid (→ Kapitel 6.1.3). Die Brückenbindungen sind schwächer als die anderen Bindungen und in der Konsequenz auch (knapp 10 %) länger.

Nun ist jedes Goldatom (als Zentralatom) von 6 Liganden umgeben. Diese Liganden ordnen sich zu einem leicht verzerrten (denn die Brückenbindungen sind ein wenig länger als die anderen) Oktaeder an. Im unteren Teil von Bild 8 habe ich die Oktaeder dazu gezeichnet. Die beiden Oktaeder haben eine Kante gemeinsam.

Viel ist nicht über Gold–V–fluorid bekannt. Die Daten des Steckbriefes stammen aus L–293.

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Steckbrief Gold–V–fluorid
Summenformel AuF5
Zersetzung oberhalb von 0 °C zu AuF3 und F2
Aussehen braunrote plättchenförmige Kristalle
Dichte 5,68 g/cm3
CAS–Nr. 57542–85–5
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Warum ? – Einige Fragen bleiben im Rahmen dieses Projekts unbeantwortet. Warum hat Gold im Gold–V–fluorid gerade 5 Valenzelektronen ? Warum hat das Dimer eine niedrigere Freie Enthalpie als andere Geometrien ?

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