5.5. Permanente Dipole und Polarität

5.5.1. Polare Bindung

Fußnote 1 : Man nennt diese Fähigkeit die Elektronegativität des Atoms bzw. des Elements. Man kann die Elektronegativität messen und eine Tabelle mit Zahlenwerten aufstellen. Mehr zur Elektronegativität erfahren Sie in Kapitel xx – demnächst.

Oft entsteht diese Situation : Zwischen 2 Atomen ist eine kovalente Bindung (Atombindung) vorhanden, jedoch ist bei dem einen der Atome (genau genommen bei einem der positiv geladenen Atomrümpfe, vgl. Kapitel 5.3. – Atombindung) die Fähigkeit, die Elektronen der Bindung anzuziehen, stärker als beim anderen (→ Fußnote 1).

Fußnote 1 : Man nennt diese Fähigkeit die Elektronegativität des Atoms bzw. des Elements. Man kann die Elektronegativität messen und eine Tabelle mit Zahlenwerten aufstellen. Mehr zur Elektronegativität erfahren Sie in Kapitel xx – demnächst.

Die Konsequenz aus dieser Fähigkeit ist leicht zu verstehen. Wenn das eine Atom die Bindungselektronen stärker anzieht als das andere, ist bei ihm ein größerer Teil davon als beim anderen. Das Atom hat also mehr als die Hälfte der negativen Ladung dieser Elektronen, es ist dadurch selbst ein klein wenig negativ geladen. Man sagt, es trägt eine negative Teilladung. Weil das Molekül als Ganzes elektrisch neutral ist, trägt das andere Atom eine positive Teilladung.

polare Bindung zwischen P und Cl

Bild 1 : Polare Bindung

Bild 1 veranschaulicht die Situation. Das Chloratom kann die Bindungselektronen (der rote Klumpen stellt ein Gebiet dar, in dem sie sich häufig aufhalten) stärker anziehen als das Phosphoratom. Sie sammeln sich also in häufiger in seiner Umgebung (der rote Klumpen ist dort dicker), und das Chloratom trägt eine negative Teilladung (in seiner Hälfte ist mehr negative Ladung).

Dipolcharakter

Von außen betrachtet, hat das Ensemble (aus den 2 Atomen und der zwischen ihnen verlaufenden Bindung) einen Pluspol und einen Minuspol. Dinge, die 2 Pole besitzen, heißen Dipol. Die eben beschriebene Bindung ist also ein Dipol. Solche Bindungen nennt man auch polar. Es ist eine polare Bindung.

Auch wenn man die Bindung über längere Zeit betrachtet, ändert sie ihren polaren Charakter nicht. Er bleibt permanent bestehen.

Polarität einer Bindung

Die Polarität einer Bindung ist ihre Eigenschaft, polar zu sein, das heißt, ein Dipol zu sein. Die Polarität einer Bindung kann stark oder schwach, kaum vorhanden oder deutlich ausgeprägt sein. Atombindungen zwischen verschiedenen Atomen sind immer polar. Ihre Polarität kann sehr gering sein, zum Beispiel zwischen Kohlenstoff– und Wasserstoffatomen (C–H–Bindung), aber oft ist sie mittel bis stark oder reicht bis zur Grenze der Ionenbindung.

Die Polarität einer Bindung kann auch fehlen. In diesem Fall haben die beiden Atome der Bindung die gleiche Fähigkeit, Bindungselektronen anzuziehen. Die Bindung heißt dann unpolar. Dieser Fall tritt nur bei Bindungen zwischen Atomen des gleichen Elements auf (zum Beispiel C–C–Bindungen).

Polare Atombindung

Eine polare Bindung, wie in diesem Abschnitt beschrieben, nennt man polare Atombindung. Ausführliche Informationen über die polare Atombindung finden Sie in Kapitel xx – demnächst.

5.5.2. Polare Moleküle

2 Beispiele bringen schnell Klarheit.

Kohlendioxidmolekül, schematisch

Bild 2 : Kohlendioxidmolekül, schematisch. Es ist unpolar.

Kohlendioxid (CO2).  – Im Kohlendioxidmolekül trägt das Kohlenstoffatom eine positive Teilladung, die beiden Sauerstoffatome je eine negative. Bild 2 zeigt eine schematische Darstellung der Wolke aus Bindungselektronen, in der positive Ladungen blau und negative rot gezeichnet sind. Über den Ort der positiven Teilladung gibt es wenig zu sagen; er ist am Ort des Kohlenstoffatoms.

Bei den negativen Teilladungen ist es etwas komplexer. Man sucht nach einer einzigen Ladung (ich nenne sie für einen Moment Ersatzladung), die dieselbe Wirkung entfaltet wie die beiden getrennten Ladungen. Wo wäre diese Ersatzladung ? Natürlich genau zwischen den beiden realen gleichgroßen negativen Teilladungen. Und das ist genau der Ort der positiven Teilladung.

Als Ergebnis erhält man, dass im Kohlendioxidmolekül der Ort der positiven Teilladung mit dem Schwerpunkt der negativen Teilladungen zusammenfällt (identisch ist). Das Molekül hat weder Plus– noch Minuspol. Es ist kein Dipol, also unpolar.

Wassermolekül als permanenter Dipol

Bild 3 : Wassermolekül, schematisch. Es ist ein permanenter Dipol.

Wasser (H2O).  – Ganz anders liegen die Verhältnisse im Wassermolekül (Bild 3).

Das Sauerstoffatom besitzt eine negative Teilladung, und es ist das einzige Atom, das negativ geladen ist. Der Ort der negativen Teilladung ist also am Sauerstoffatom (linkes Kreuz in Bild Bild 3).

Jedes der beiden Wasserstoffatome besitzt eine positive Teilladung. Wie im vorigen Beispiel suche ich nach dem Ort einer einzigen Ladung (Ersatzladung), die die gleiche Wirkung wie die beiden getrennten Ladungen hat. Wo ist er ? Ganz klar, genau zwischen den beiden realen Ladungen, dort wo in Bild 3 das rechte Kreuz gezeichnet ist.

Der Ort der negativen Teilladung ist also ein anderer als der Schwerpunkt der positiven Teilladungen (Ort der Ersatzladung). Das Molekül hat einen Pluspol und einen Minuspol. Es ist ein Dipol. Da dieser Dipol bestehen bleibt, auch wenn man das Molekül über längere Zeit betrachtet, ist es ein permanenter Dipol.

Wann ist ein Molekül polar ?
Wie man es sagt

Die Moleküle von Stoff X sind Dipole / permanente Dipole. Die Moleküle von Stoff X besitzen Dipolcharakter. Die Moleküle von Stoff X sind wenig / stark polar. Die Moleküle von Stoff X besitzen eine niedrige / mittlere / hohe / starke Polarität. All diese Formulierungen besagen dasselbe.

Manchmal sagt man auch, Stoff X ist polar / hat eine starke Polarität / hat Dipolcharakter. Das ist zwar nicht exakt, wird aber doch häufig so gemacht. Naja.

Wenn an anderen Stellen des Projekts „Die Struktur der Stoffe” von Polarität die Rede ist, ist entweder gemeint, dass eine polare Bindung (Kapitel 5.5.1. – oben auf dieser Seite) vorliegt, oder dass ein Molekül ein permanenter Dipol ist.

permanente Dipole – andere Dipole

In diesem Abschnitt habe ich über Moleküle geschrieben, die Dipole sind – oder auch nicht. Wenn sie aber ein Dipol sind, dann bleiben sie, auch wenn man sie über lange Zeit betrachtet, ein Dipol. Ihr Dipolcharakter ist zeitlich unveränderlich. Deshalb nennt man sie permanente Dipole.

In Kapitel 5.8. (Induzierte Dipole) und in Kapitel 5.9. (Temporäre Dipole) werde ich über Moleküle schreiben, die keine permanenten Dipole sind.

2 Beispiele

Zum Abschluss will ich noch ein polares und ein unpolares Moleküel vorstellen. Sie können dabei sehen, wie Polarität entsteht, oder auch nicht.

Molekül von Tetrachlormethan

Bild 4 : Molekül von Tetra­chlor­methan (CCl4). Es ist unpolar.

Tetrachlormethan (CCl4). – Im Tetrachlormethan–Molekül ist ein Kohlenstoffatom von 4 Chloratomen umgeben. Es hat die Form eines Tetraeders. An seinen 4 Ecken befinden sich die Chloratome, und im Zentrum (Schwerpunkt) des Tetraeders ist das Kohlenstoffatom (Bild 4).

Da Chlor eine viel höhere Elektronegativität als Kohlenstoff hat, sind alle 4 Bindungen (vom Kohlenstoff– zu den Chloratomen) polar. Die Chloratome tragen eine negative Teilladung, das Kohlenstoffatom die ausgleichende positive Teilladung. Da die Teilladung bei allen 4 Chloratomen gleichgroß ist, ist der Schwerpunkt der negativen Teilladungen genau im Zentrum (Schwerpunkt) des Tetraeders. Und an dieser Stelle sitzt das Kohlenstoffatom mit seiner positiven Teilladung.

Der Ort der positiven Teilladung und der Schwerpunkt der negativen ist gleich, und das Tetrachlormethan–Molekül ist nicht polar.

Vielleicht sagen Sie jetzt, der Grund für die fehlende Polarität ist die Symmetrie des Moleküls. Einerseits ist das richtig, denn vollkommen unsymmetrische Moleküle sind immer polar, aber andererseits hat Symmetrie nicht automatisch unpolare Moleküle zur Folge. Sehen Sie sich das nächste Beispiel an.

Ammoniak-Molekül

Bild 5 : Molekül von Ammoniak (NH3). Es ist polar.

Ammoniak (NH3). – Im Ammoniak–Molekül ist ein Stickstoffatom an 3 Wasserstoffatome gebunden. Das Molekül hat die Form einer flachen dreiseitgen Pyramide. An der Pyramidenspitze befindet sich das Stickstoffatom, und an den Ecken des gleichseitgen Dreiecks, das die Pyramidenbasis bildet, sind die Wasserstoffatome.

Da Stickstoff eine höhere Elektronegativität als Wasserstoff hat, sind alle 3 Bindungen polar. Die Wasserstoffatome tragen eine positive Teilladung, das Stickstoffatom die ausgleichende negative Teilladung. Da die Teilladung bei allen 3 Wasserstoffatomen gleich groß ist, ist der Schwerpunkt der positiven Teilladungen genau im Zentrum des Dreiecks, das die Pyramidenbasis bildet.

Sehen Sie sich die Situation in Bild 5 an. Das Stickstoffatom (Ort der negativen Teilladung, blau gezeichnet), die 3 Wasserstoffatome (weiß) und das Pyramidenbasis–Dreieck (grün) sind schnell identifiziert. Doch was bedeutet die kleine rote Kugel mitten im Dreieck ? Es ist der Schwerpunkt der positiven Teilladungen, und er ist an einem anderen Ort als die negative Teilladung. Also ist das Ammoniak–Molekül polar.

Sie sehen in Bild 5, dass das Ammoniak–Molekül symmetrisch ist. Es besitzt eine dreizählige Drehachse. Trotzdem ist es polar. Symmetrie allein ist kein Argument für oder gegen Polarität, nur die Schwerpunkte der Ladungen zählen.

5.6. Schwefeldioxid und die Dipolkräfte

Beschreibung

Im Schwefeldioxid (SO2) liegen SO2–Moleküle vor (Lit. L–270). Jedes ist ein permanenter Dipol. Der Grund ist, dass polare Atombindungen vorliegen und dass die Schwerpunkte der positiven und der negativen Teilladung nicht zusammenfallen. Mehr Informationen zu diesen Begriffen finden Sie im vorigen Abschnitt (Kapitel 5.5. Polare Moleküle).

Treffen 2 Schwefeldioxid–Moleküle zusammen, wirken zwischen dem Schwefelatom des einen und einem Sauerstoffatom des anderen elektrostatische Kräfte (Coulomb–Kräfte). Diese Coulomb–Kräfte sind aus 2 Gründen nur schwach. Einmal wirken sie nur zwischen Teilladungen. Zum anderen sind die Atome benachbarter Moleküle relativ weit voneinander entfernt sind (im Vergleich zu Atomen des gleichen Moleküls), und die Coulomb–Kraft nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab.

Fußnote 2 : Die Keesom–Kräfte sind nach dem niederländischen Physiker Willem Hendrik Keesom (1876 – 1956) benannt, der sie mathematisch beschrieb.

Diese schwachen Coulomb–Kräfte nennt man Dipolkräfte, Dipol–Dipol–Wechselwirkungen oder Keesom–Kräfte (→ Fußnote 2).

Fußnote 2 : Die Keesom–Kräfte sind nach dem niederländischen Physiker Willem Hendrik Keesom (1876 – 1956) benannt, der sie mathematisch beschrieb.

Bild 6 zeigt einen winzigen Ausschnitt aus einem Kristall von festem Schwefeldioxid. Die Dipolkräfte, die zwischen den 3 Molekülen wirken, sind durch orangefarbige Striche symbolisiert.

Schwefeldioxid-Moleküle

Bild 6 : Zwischen den 3 Schwefeldioxid–Molekülen wirken Dipolkräfte. Sie sind durch dünne orangefarbige Striche symbolisiert. Mehr Infos zu den Längen– und Ladungsangaben im Text.

Modellbildung

Grundlage des Modells der Dipolkräfte ist das Modell der polaren Atombindung. Die polare Atombindung kann man mit dem Orbitalmodell beschreiben (nicht in diesem Buch). Dann kann man auch die Dipolkräfte mit demselben Modell erklären, wie es Keesom gemacht hat.

Hier habe ich die polare Atombindung mit einem einfachen elektrostatischen Modell erklärt (Kapitel 5.5.1. und Kapitel xx – demnächst).

So kann ich ein sehr einfaches Modell der Dipolkräfte benutzen. Zwischen positiven und negativen Teilladungen, die sich meist an Atomen benachbarter Moleküle befinden, wirken elektrostatische Anziehungskräfte.

Später werde ich Stoffe vorstellen, bei denen die Ladungen entweder nicht an Atomen lokalisiert sind (sondern über einen Bereich verteilt), oder bei denen sie nicht zwischen benachbarten Molekülen wirken ( sondern im selben), oder bei denen gar keine Moleküle vorliegen (sondern zum Beispiel Ionenkristalle).

Eigenschaften der Dipolkräfte
Beispiel

Schwefel hat eine Elektronegativität von 2,58, Sauerstoff von 3,44. Aus der Differenz von 0,86 errechnet man einen Ionenbindungsanteil von knapp 20 %. Im Schwefeldioxid liegt also eine polare Atombindung vor. Ihre Polarität ist weder stark noch schwach, sondern mittelmäßig.

Am Sauerstoffatom liegt eine Teilladung von etwa einem Viertel einer Elementarladung vor, am Schwefelatom (da 2 negative Teilladungen ausgeglichen werden müssen) eine von etwa einer halben Elementarladung.

Die Entfernung von einem Schwefelatom zu einem Sauerstoffatom im Nachbarmolekül beträgt 310 pm. Das ist mehr als das Doppelte der Bindungslänge (also dem Abstand Schwefel – Sauerstoff im Molekül) von 143 pm. Die Ladungs– und Längenagaben sind in Bild 6 notiert.

Die Dipolkräfte sind proportional den Ladungen und umgekehrt proportional zum Quadrat der Abstände der Ladungen. Im Schwefeldioxid sind sie also recht schwach.

Mit diesem Modell kann man die Eigenschaften des Schwefeldioxids erklären. Es hat einen niedrigen (aber nicht extrem niedrigen) Schmelz– und Siedepunkt und ist elektrisch nicht leitfähig. Mehr Daten zu Schwefeldioxid finden Sie im Steckbrief.

Pinselstrich
Steckbrief Schwefeldioxid
Summenformel SO2
Schmelzpunkt – 75,5 °C
Siedepunkt – 10,05 °C
Dichte
  fest, am Schmelzpunkt 1,46 g/cm3
  flüssig, am Siedepunkt 1,458 g/cm3
  gasförmig, am Siedepunkt, 1013 mbar 3,049 g/l
  gasförmig, bei 15 °C, 1013 mbar 2,77 g/l
Kritische Temperatur 157,6 °C
Kritischer Druck 7,884 MPa (78,84 bar)
Kritisches molares Volumen 122 cm3/mol
Aussehen farblos
Geruch stechend
CAS–Nr. 7446–09–5
Pinselstrich

5.7. Wasser, Essigsäure und die Wasserstoffbrückenbindung

Beschreibung

Fußnote 3 : Jedes Wassermolekül ist sogar ein permanenter Dipol. Mehr Informationen zu diesem Begriff finden Sie in Kapitel 5.5. (Permanente Dipole).

Im Wasser (H2O) liegen H2O–Moleküle vor. Innerhalb dieser Moleküle sind Atombindungen vorhanden. Zwischen den Wassermolekülen wirken andere Kräfte. Jedes Wassermolekül ist ein Dipol (→ Fußnote 3), es ist also an einem Ende ein wenig positiv geladen, am anderen ein wenig negativ. Zwischen der positiven Stelle eines Wassermoleküls und der negativ geladenen Stelle eines anderen Wassermoleküls wirken (wieder einmal) Coulomb–Kräfte. Die entstehenden Bindungen heißen Wasserstoffbrückenbindungen.

Fußnote 3 : Jedes Wassermolekül ist sogar ein permanenter Dipol. Mehr Informationen zu diesem Begriff finden Sie in Kapitel 5.5. (Permanente Dipole).

Wassermoleküle

Bild 7 : 2 Wassermoleküle ziehen sich an. Beide sind polar. Zwischen einem H–Atom des einen (positive Teilladung, blau gezeichnet) und dem O–Atom des anderen (negative Teilladung, rot gezeichnet) wirken elektrostatische Kräfte.

Bild 7 zeigt, wie sich 2 Wassermoleküle anordnen. Eine der beiden Stellen im ersten Molekül, die eine positive Teilladung trägt (am Wasserstoffatom), liegt in der Nähe der Stelle mit der negativen Teilladung im zweiten Molekül (also am Sauerstoffatom).

Wasserstoffbrückenbindungen vs. Dipolkräfte

Erinnert Sie die Beschreibung der Wasserstoffbrückenbindung an die Dipolkräfte aus dem vorigen Abschnitt ?

Das wäre nicht erstaunlich, denn die beiden Beschreibungen sind sehr ähnlich. Der Grund ist, dass die beiden Bindungsarten sehr ähnlich sind.

Wirkprinzip.  – Das Wirkprinzip der Dipolkräfte und der Wasserstoffbrückenbindungen ist dasselbe. Es sind die elektrostatischen Anziehungskräfte (Coulomb–Kräfte) zwischen positiven und negativen Teilladungen zweier benachbarter Moleküle.

Stärke.  – Dipolkräfte sind schwach. Ihre Bindungsenergie liegt zwischen 5 kJ/mol und 10 kJ/mol. Die Wasserstoffbrückenbindung ist mäßig stark. Ihre Bindungsenergie liegt zwischen 10 kJ/mol und 100 kJ/mol.

Gründe für die unterschiedliche Stärke.  – Der erste Grund ist die für ein Nichtmetall doch recht niedrige Elektronegativität des Wasserstoffs. Sie beträgt nur 2,20. Zu den meisten Bindungspartnern des Wasserstoffs (zum Beispiel C, N, O, P, S) liegt damit eine recht hohe Differenz der Elektronegativitäten vor, und es resultieren recht stark polare Bindungen. Die Moleküle sind also starke Dipole, und die Anziehungskräfte zwischen den stark ausgeprägten Teilladungen sind eher groß.

Im Gegensatz dazu beträgt die Differenz der Elektronegativitäten von Sauerstoff und Schwefel nur 1,06. Die Sauerstoff–Schwefel–Bindung ist daher nur schwach polar, und die Anziehungskräfte zwischen 2 Schwefeldioxidmolekülen sind wegen der nur geringen Teilladungen auch nur schwach. Für alle anderen Moleküle, zwischen denen Dipolkräfte wirken, gilt dasselbe.

Der zweite Grund ist die geringe Größe des Wasserstoffatoms. Der Abstand zum Nachbarmolekül ist daher klein, die Wasserstoffbrückenbindungen sind kurz und daher stärker als Dipolkräfte.

Konsequenzen der unterschiedlichen Stärke.  – Es sieht so aus, als hätte ich eben nur einen kleinen, quantitativen Unterschied mit graduellen, marginalen Auswirkungen beschrieben. So ist es aber nicht. Der scheinbar unbedeutende Unterschied bewirkt umfassende Änderungen im Verhalten.

Stoffe, die eine Wasserstoffbrückenbindung besitzen, haben deutlich andere Eigenschaften und zeigen andere Reaktionen als solche, bei denen nur Dipolkräfte wirken.

Zu diesen Eigenschaften gehören Schmelz– und Siedepunkt, Viskosität (Kapitel 15), Adhäsions– und Kohäsionskräfte, Oberflächenspannung und Dichte.

Die wichtigste Reaktion ist die Bildung großer Cluster (Zusammenballungen) von organischen Molekülen. Die Cluster sind aber nicht allzu fest gebunden und können schon bei Raumtemperatur leicht gespalten und wieder neu gebildet werden. Viele Vorgänge des Stoffwechsels von Lebewesen beruhen auf dieser Eigenschaft der Wasserstoffbrückenbindungen.

Wasserstoffbrückenbindung :
xxxxx gleiches Wirkprinzip wie Dipolkräfte
xxxxx stärker als Dipolkräfte
xxxxx Moleküle haben wesentlich andere Eigenschaften

Beispiel

Das natürliche Beispiel zur Wasserstoffbrückenbindung ist Wasser. Ein kleines Molekül, übersichtliche Verhältnisse, schnell erklärt. Kann man so machen, muss aber nicht.

Ich werde Essigsäure präsentieren.

Essigsäuremolekül

Bild 8 : Essigsäure–Molekül. Erklärung der farbigen Kreise im Text.

Bild 8 zeigt die Strukturformel von Essigsäure. Alle Atome sind entsprechend ihrer Ladung farbig hinterlegt. Kohlenstoff hat eine Elektronegativität von 2,55, Wasserstoff von 2,20. Die C–H–Bindungen sind also so gut wie überhaupt nicht polar, die 4 Atome der Methylgruppe sind praktisch neutral und grau hinterlegt.

Sauerstoff hat eine Elektronegativität von 3,44. Alle von Sauerstoffatomen ausgehenden Bindungen sind also polar. Alle Sauerstoffatome tragen eine negative Teilladung und sind rot hinterlegt. Alle Nachbarn von Sauerstoffatomen besitzen eine positive Teilladung und sind blau hinterlegt.

Was passiert, wenn sich 2 Essigsäuremoleküle treffen ? Bild 9 zeigt es. Positive und negative Teilladungen ziehen sich an, und es bilden sich Einheiten aus 2 Molekülen Essigsäure. Solche Einheiten nennt man Dimere. Essigsäure bildet sowohl im festen als auch im flüssigen Zustand Dimere.

Dimer aus 2 Essigsäuremolekülen

Bild 9 : 2 Essigsäure–Moleküle bilden ein Dimer. Die beiden Moleküle werden durch Wasserstoffbrückenbindungen zusammengehalten.

Die Dimeren sind auch im flüssigen Zustand relativ stabil, und Essigsäure zeigt viele Eigenschaften eines Stoffes, dessen Moleküle doppelt so groß sind wie ein einzelnes Essigsäuremolekül (→ Fußnote 4). Schmelz– und Siedepunkt sind relativ hoch, und die Viskosität von Essigsäure ist etwa 5 mal so groß ist wie die von Diethylether, obwohl deren Moleküle eine geringere Masse haben (vgl. dazu Kapitel 10.5. – Zahlenwerte für die Viskoität, einschließlich der Tabellen dort).

Fußnote 4 : Über den Einfluss der Molekülmasse auf die Eigenschaften eines Stoffes erfahren Sie mehr in den Kapiteln über den Siedepunkt (Kapitel 13) und die Viskosität (Kapitel 10.2. – Einflussgrößen für die Viskosität und Kapitel 10.5. – Zahlenwerte).

Mehr Daten zu Essigsäure finden Sie im Steckbrief.

Pinselstrich
Steckbrief Essigsäure
Summenformel C2H4O2
Schmelzpunkt 16,6 °C
Siedepunkt 117,9 °C
Dichte bei 20 °C 1,05 g/cm3
dynamische Viskosität 1,22 ⋅ 10–3 N s / m2
Aussehen farblos
Geruch stechend
Geruchsschwelle 1 – 5 ppm
CAS–Nr. 64–19–7
Pinselstrich

5.8. Induzierte Dipole und Polarisierbarkeit

In Kapitel 5.5. habe ich über permanente Dipole geschrieben, und ich habe Wert darauf gelegt, diese Dipole als permanent zu bezeichnen. Es muss also noch andere Arten von Dipolen gegen, die nicht permanent sind.

Eine davon stelle ich in diesem Abschnitt vor. Eine weitere Art nicht–permanenter Dipole folgt im nächsten Abschnitt (Kapitel 5.9. – Temporäre Dipole und Dispersionskräfte).

5.8.1. Induzierte Dipole

Was passiert, wenn ein Ion und ein elektrisch neutrales Teilchen (Atom, Molekül) zusammen treffen ? Sehen Sie sich dazu Bild 10 an. Im oberen Teil sind die beiden Teilchen, bevor sie in Wechselwirkung treten. Als Ion habe ich ein positiv geladenes Ion gewählt, das ich blau gezeichnet habe. Das neutrale Teilchen habe ich grau gezeichnet.

 

induzierte Dipole oben :
noch keine
Wechselwirkung
 
 
 
unten :
Wechselwirkung
ist eingetreten

Bild 10 : So entsteht ein induzierter Dipol. Ein positiv geladenes Ion (blau gezeichnet) tritt in Wechselwirkung mit einem neutralen Teilchen (grau). Die Elektronen der Hülle des neutralen Teilchens halten sich aufgrund der Coulomb–Kräfte öfter nah beim Ion auf, seltener weit von ihm entfernt. Die Ladung in der Elektronenhülle ist nun ungleichmäßig verteilt, das neutrale Teilchen ist zum Dipol geworden.

Wechselwirkung.  – Wie kann eine Wechselwirkung zwischen einem positiv geladenen und einem neutralen Teilchen aussehen ? Stellt man sich die kleinsten Teilchen wie Tennisbälle vor, fällt dazu niemand etwas ein. Ein neutraler und ein geladener Tennisball haben ja keine Wechselwirkung. Atome und Moleküle sind aber keine Tennisbälle.

Das neutrale Atom besitzt in seiner Hülle negativ geladene Elektronen, und für das Molekül gilt Analoges. Zwischen diesen Elektronen und dem positiv geladenen Ion wirken elektrostatische Anziehungskräfte (Coulomb–Kräfte). Als Resultat werden sich die Elektronen in der Hülle des neutralen Teilchens öfter in der Nähe des Ions aufhalten. Genauer : Sie weren sich öfter in der dem Ion zugewandten Seite aufhalten, und seltener in der abgewandten. Die eine Seite hat also (über einen längeren Zeitraum betrachtet) eine kleine negative Teilladung, die andere eine genauso kleine positive Teilladung. Das eben noch neutrale Teilchen ist zum Dipol geworden.

Ein Begriff.  – Es war das Ion, das bewirkt hat, dass ein anderes Teilchen zum Dipol geworden ist. Man sagt, das Ion hat den Dipolcharakter des anderen Teilchen induziert. Das vorher neutrale Teilchen ist zu einem induzierten Dipol geworden.

Ein induzierter Dipol ist ein kleinstes Teilchen, das durch Einwirkung eines positiv oder negativ geladenen anderen Teilchen selbst zum Dipol geworden ist.

Bleibt der induzierte Dipol ein Dipol ? Ja, solange das Ion in seiner Nähe ist, denn solange kann die oben beschriebene Wechselwirkung eintreten. Nein, sobald das Ion sich entfernt hat.

5.8.2. Teilchen und Felder

Die Überschrift hört sich weit und groß an, und natürlich kann der folgende winzige Abschnitt keine umfassenden Aussagen zu diesem riesigen Thema machen. Nicht einmal das ganze Buch könnte das. Einen kleinen Spalt können wir aber eine Tür öffnen, und einen kurzen, flüchtigen Blick in den großen, gut gefüllten Raum dahinter werfen.

Ion oder auch etwas anderes ?  – Im vorigen Abschnitt war es ein Ion, das in Wechselwirkung getreten ist. Muss das so sein ? Natürlich nicht.

Induzierte Dipole können nicht nur durch Einwirkung eines Ions entstehen, sondern überhaupt durch Einwrkung elektrischer Felder. Und jede Ladung erzeugt ein elektrisches Feld. Induzierte Dipole können also entstehen, wenn Ladungen oder elektrische Felder auf ein kleinstes Teilchen einwirken.

Im nächsten Abschnitt (Kapitel 5.9. – Dispersionskräfte) werden Sie eine Möglichkeit kennen lernen, wie Ladungen scheinbar aus dem Nichts entstehen und dann in Wechselwirkung mit anderen Teilchen treten. Sie werden verstehen, wie diese erstaunliche Erscheinung die Grundlage für das Verhalten vieler (vielleicht sogar aller) Stoffe ist, und Sie werden oft erklären können, warum ein Stoff eine bestimmte Struktur annimmt. Um ehrlich zu sein, der Hauptzweck dieses Abschnitts ist es, auf den nächsten vorzubereiten.

Neutrales Teilchen oder auch etwas anderes ?  – Im vorigen Abschnitt ist das Ion immer in Wechselwirkung mit einem neutralen Teilchen getreten. Muss das so sein ? Natürlich nicht.

Das Ion (oder, entsprechend dem vorigen Abschnitt, die Ladung) kann genauso gut auf ein anderes Ion oder ein Molekül treffen. Trifft es auf ein Molekül, kann es dieses an einer eher unpolaren Stelle treffen, oder es kann auf einen Bereich treffen, in dem Atome mit einer Teilladung vorhanden sind.

Sicher wird das Ion oder die Ladung mit dem wechselwirken, woaruf es trifft. Wird dann dasselbe passieren wie bei neutralen Teilchen ? Warum nicht ? Der neutrale Charakter des Teilchens hat in der gesamten Argumentation keine Rolle gespielt, nur die Elektronenhülle.

Es werden elektrostatische Kräfte (Coulomb–Kräfte) wirken. Trifft zum Beispiel eine positive Ladung auf ein Gebiet mit einer negativen Ladung oder Teilladung, werden es Anziehungskräfte sein. Sie werden bewirken, dass sich die Elektronen des beeinflussten Elements häufiger in der Nähe der positiven Ladung aufhalten. Die Verteilung der Elektronen wird sich dort ändern, nicht mehr. Ionen werden Ionen bleiben, Moleküle werden Moleküle bleiben.

Nur andere Ladungsverteilung oder mehr ?  – Bild 10 suggeriert, dass Atome und Ionen kugelförmige Gebiete mit einer festen Grenze einnehmen. Aber schon in Kapitel 3.7.2. haben Sie gehört, dass das nicht so ist. Die Gebiete haben keine feste Grenze, und auch nicht unbedingt eine Kugelform.

Trifft zum Beispiel ein Ion auf ein neutrales Teilchen, wie in Bild 10, so werden sich die Elektronen nicht nur innerhalb der gezeichneten Kugelschale bewegen. Die Elektronen auf der dem Ion zugewandten Seite werden sich überhaupt zum Ion hin bewegen. Die Elektronen auf der abgewandten werden das wegen der viel größeren Entfernung nur in ganz geringem Maß tun.

Nicht nur die Ladungsverteilung wird sich ändern, sondern die Form der Ladungswolke. Das neutrale Teilchen als Ganzes wird sich verformen. Es wird einem Ellipsoid oder einem Ei ähnlicher sehen als einer Kugel. Bild 11 zeigt die Situation.

 

induzierte Dipole oben :
noch keine
Wechselwirkung
 
 
 
unten :
Wechselwirkung
ist eingetreten

Bild 11 : Realistischere Beschreibung der Entstehung eines induzierten Dipols. Ein positiv geladenes Ion (blau gezeichnet) tritt in Wechselwirkung mit einem neutralen Teilchen (grau). Die Elektronen der Hülle des neutralen Teilchens halten sich aufgrund der Coulomb–Kräfte öfter nah beim Ion auf, seltener weit von ihm entfernt. Das neutrale Teilchen wird zum Dipol, und es verformt sich zum Ellipsoid.

Nur in eine Richtung oder auch anders ?  – In Bild 10 haben Sie ein Ion gesehen, dass auf ein anderes Teilchen einwirkt. Ist diese Wirkung eine Einbahnstraße ? Natürlich nicht. Auch das neutrale Teilchen, dass zum induzierten Dipol geworden ist, wirkt auf das Ion ein. Ich will mich nicht in Details über die Art der Rückwirkung verlieren, sondern nur diese Tatsache feststellen.

Deshalb habe ich immer von Wechselwirkung gesprochen.

Alles mit allem.  – Wenn ein elektrisches Feld auf ein Atom, Ion oder Molekül trifft, wird es immer eine Wechselwirkung geben.

Weil jedes Atom, Ion oder Molekül selbst elektrische Felder erzeugt, wird es mit jedem anderen Teilchen in Wechselwirkung stehen.

Jedes Atom, Ion oder Molekül steht mit jedem anderen Atom, Ion oder Molekül in Wechselwirkung.

Das ist nicht neu.

5.8.3. Polarisierbarkeit

In den vorigen Abschnitten habe ich das Phänomen des induzierten Dipols global und qualitativ beschrieben.

Ist diese Wechselwirkung immer gleich stark ? Oder gibt es Ionen, die eine besonders starke Wirkung auf andere Teilchen ausüben, mit denen sie zusammen treffen ? Und gibt es kleinste Teilchen, die sich von vorbeikommenden Ionen besonders leicht beeinflussen lassen und stärker als andere auf diese Ionen reagieren ? 3 Fragen, 3 Antworten : Nein. Ja. Ja.

Die Wechselwirkung zwischen kleinsten Teilchen, die zur Bildung induzierter Dipole führt, ist unterschedlich stark.

An dieser Stelle ist es sinnvoll, zwei Dinge zu tun.

Erstens sollte man dem, worüber man hier spricht, einen Namen geben. Er macht die Kommunikation einfacher.

Zweitens sollte man darüber nachdenken, wovon diese unterschiedliche Stärke der Wechselwirkung abhängt, und zu jeder Ursache eine Begründung ihrer Wirkung geben.

Definition des Begriffs Polarisierbarkeit.  – Die Polarisierbarkeit eines kleinsten Teilchens (Atom, Ion, Molekül) ist seine Fähigkeit, aufgrund äußerer Einwirkung von Ladungen die Verteilung der Elektronen in seiner Elektronenwolke zu ändern und die Elektronenwolke selbst zu verformen.

Man kann die Polarisierbarkeit zahlenmäßig beschreiben. Für die Zwecke dieses Buches reicht aber eine qualitative Beschreibung mit Worten wie hoch – niedrig, stark – schwach, größer – kleiner und Ähnlichen.

Die Fajans–Regeln

Fußnote 5 : Kasimir Fajans ist ein wahrhaft internationaler Wissenschaftler. Er wurde 1887 in Warschau geboren, das damals zu Russland gehörte. Ethnisch war er Pole. Seine Ausbildung erhielt er im damals wissenschaftlich führenden Deutschland sowie in der Schweiz und Großbritannien. Viele Jahre arbeitete er dann in Deutschland. Da er Jude war, musste er emigrieren. Er lebte und forschte ab 1935 in den USA, wo er 1975 starb.

Kasimir Fajans (→ Fußnote 5) stellte im Jahr 1923 Regeln auf, um die Polarisierbarkeit von Teilchen zu beschreiben. Zu den Vorteilen der Regeln gehören Einfachheit und Verständlichkeit. Man kann gut mit ihnen argumentieren. Als Nachteil wird oft die fehlende Quantifizierbarkeit genannt. Das heißt, sie erlauben keine Berechnungen – aber ist das wirklich ein Nachteil ?

Fußnote 5 : Kasimir Fajans ist ein wahrhaft internationaler Wissenschaftler. Er wurde 1887 in Warschau geboren, das damals zu Russland gehörte. Ethnisch war er Pole. Seine Ausbildung erhielt er im damals wissenschaftlich führenden Deutschland sowie in der Schweiz und Großbritannien. Viele Jahre arbeitete er dann in Deutschland. Da er Jude war, musste er emigrieren. Er lebte und forschte ab 1935 in den USA, wo er 1975 starb.

In erster Linie werden die Fajans–Regeln auf Ionen angewandt. Daher sind in Bild 12 auch Ionen gezeichnet, und im folgenden werde ich von Kationen und Anionen sprechen. Aber natürlich gelten die Regeln analog auch für andere kleinsten Teilchen, zum Beispiel solche mit nur einer Teilladung.

Was fördert ?  – Was fördert die Polarisierung eines kleinsten Teilchens ? Dabei soll es egal sein, ob es sich um ein neutrales Teilchen handelt, oder um ein Teilchen mit einer Teilladung oder mit einer ganzzahligen Ladung.

Illustration der Fajans-Regeln

Bild 12 : Die Fajans–Regeln besagen, dass die Größe der in Wechselwirkung tretenden Teilchen Einfluss auf die Polarisierung hat.

Die Kraft, die eine Ladung auf eine andere Ladung ausübt, ist nach dem Coulombschem Gesetz proportional der Größe der Ladungen und umgekehrt proportional dem Quadrat ihres Abstands.

Größe der Ladungen und ihre Entfernungen werden also die wichtigsten Rollen in den Fajans–Regeln spielen.

Die Regeln.  – Hier sind die 5 Fajans–Regeln.

Fußnote 6 : Auch wenn man kein Anion betrachtet, sondern ein Teilchen mit einer negativen Teilladung oder eine Stelle eines Moleküls mit einer solchen, sind doch immer Kernladungen vorhanden, denn alle diese Teilchen enthalten Atome, und es sind immer Atomkerne in der Nähe.

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Demnächst bearbeite ich diesen Abschnitt weiter.

Es kann aber noch etwas dauern.

 

 

Einschub : induzierte Dipole und permanente Dipole

Wassermolekül als permanenter Dipol

Bild 7 : Das Wassermolekül ist ein permanenter Dipol.

Kohlendioxidmolekül, schematisch

Bild 8 : Das Kohlendioxidmolekül ist kein permanenter Dipol, denn die Zentren der positiven und negativen Teilladungen fallen zusammen.

unpolarer Charakter des Iodmoleküls

Bild 9 : Das Iodmolekül ist im zeitlichen Mittel kein Dipol.

Ladungsverteilung im Iodmolekül

Bild 10 : Für sehr kurze Zeit bildet sich im Iodmolekül eine unsymmetrische Ladungsverteilung aus. Es wird für einen Moment zum Dipol.

Ladungsverteilung in 2 Iodmolekülen

Bild 11 : Die unsymmetrische Ladungsverteilung macht das Nachbarmolekül für kurze Zeit ebenfalls zum Dipol. Das Iodmolekül ist ein induzierter Dipol.

Ein Dipol ist ein Gegenstand, der 2 elektrische oder magnetische Pole hat. Sehen wir uns als Beispiel das Wassermolekül an. Die Ladungsverteilung im Molekül ist unsymmetrisch. Das Sauerstoffatom trägt eine negative Ladung (sie ist im zeitlichen Mittel geringer als die Ladung eines Elektrons und wird daher Teilladung genannt), die beiden Wasserstoffatome tragen positive Teilladungen. Das Wassermolekül hat an der Stelle des Sauerstoffatoms den negativen Pol und zwischen den Wasserstoffatomen den positiven Pol. Es ist ein Dipol. Das ist, zeitlich gesehen, immer der Fall. Deshalb ist das Wassermolekül ein permanenter Dipol.

Wann ist ein Molekül ein permanenter Dipol ? 2 Voraussetzungen müssen erfüllt sein.

Sehen wir uns als nächstes Beispiel ein Iodmolekül an. Hier unterscheiden wir zwischen einer Betrachtung der Bindungslektronen im zeitlichen Mittel eines längeren Zeitraums und einer Betrachtung auf einer sehr fein aufgelösten Zeitskala.

Im zeitlichen Mittel ist das Molekül unpolar. Es ist dann kein Dipol. Grund ist, dass sich die Bindungslektronen im zeitlichen Mittel genau zwischen den Iodatomen aufhalten. Bild 9 zeigt ein solches Iodmolekül. Ich habe es grau gezeichnet, um seine Neutralität deutlich zu machen.

Sieht man sich die Situation genauer an, wird klar, dass die Elektronen nicht wie festgewachsen in der Mitte zwischen den beiden Atomen sitzen. Sie bewegen sich in ihrem Orbital. Mal sind sie näher bei dem einen Iodatom, mal bei dem anderen. Für einen sehr kurzen Moment trägt das Iodmolekül also an einem Ende eine kleine negative Teilladung (und später am anderen Ende). In den Bildern 10 und 11 ist sie an der rechten Seite des Moleküls und schwach rot gezeichnet. Was bewirkt diese kurzzeitige Teilladung ? Sie wirkt sich auf das Nachbarmolekül im Kristall aus. Dort, wo es dem ersten Molekül am nächsten kommt, werden die Bindungselektronen abgestoßen (wie das bei gleichnamigen Ladungen so ist), und es bildet sich eine kleine positive Teilladung (blau) aus. Das Nachbarmolekül ist also kurzzeitig zum Dipol geworden. Man nennt es einen induzierten Dipol, denn Ursache ist die Ladungsverteilung im ersten Molekül. Bild 11 zeigt die Situation.

Iod, Neon und die Dispersionskräfte

Im Iod (I2) liegen Iodmoleküle vor. Innerhalb dieser Moleküle sind Atombindungen vorhanden. Welche Kräfte zwischen den Molekülen wirken, haben wir im vorigen Abschnitt gesehen. Es sind elektrostatische Anziehungskräfte (Coulomb–Kräfte). Oder haben Sie etwas anderes erwartet ?

Diese Kräfte wirken also zwischen der positiven Teilladung eines Iodmoleküls und der negativen Teilladung des benachbarten Iodmoleküls. Ihre Ursache ist der (induzierte) Dipolcharakter der Iodmoleküle. Mit dieser Tatsache können wir begründen, warum diese Kräfte überaus schwach sind. Die Teilladungen bestehen nicht immer wie bei den permanenten Dipolen, sondern nur kurzzeitig. Über einen „längeren” Zeitraum betrachtet (im Bereich von Millisekunden) bedeutet das, dass die Anziehungskräfte zwischen den Iodmolekülen schwächer sind als die bei permanenten Dipolen.

Man nennt die durch induzierte Dipole hervorgerufenen Anziehungskräfte zwischen Molekülen Dispersionskräfte oder London–Kräfte (nicht nach der englischen Hauptstadt benannt, sondern nach dem deutschen Physiker Fritz London).

Im Neon (Ne) liegen nur Neonatome vor. Sie sind unpolar. Wie beim Iod bilden sich induzierte Dipole aus, zwischen denen Dispersionskräfte wirken, die aber noch schwächer als beim Iod sind. Warum ist das so ? Ein Iodmolekül ist viel größer als ein Neonatom. Die Bindungselektronen im Iodmolekül können sich also relativ weit vom Mittelpunkt des Moleküls entfernen. Hingegen können sich die Elektronen im Neonatom nur ein kleines Stück vom Mittelpunkt des Atoms entfernen. Man sagt, das Iodmolekül ist stärker polarisierbar als das Neonatom. Daher ist der Dipolcharakter des Iodmoleküls stärker als der des Neonatoms. Die Kräfte zwischen Neonatomen sind wirklich winzig.

Wichtige Eigenschaften der Dispersionskräfte sind :

eine kurze Bemerkung zu den van–der–Waals–Kräften

Der Begriff der van–der–Waals–Kraft (sie wurde nach dem niederländischen Physiker Johannes Diderik van der Waals benannt) wird in 2 Bedeutungen gebraucht.

Von den Details zurück zum Überblick

Auf dieser Seite ging es darum, was die kleinsten Teilchen in einem Festkörper zusammenhält. Wir haben gesehen, dass es immer elektrostatische Kräfte (Coulomb–Kräfte) sind. Da die Teilchen sehr unterschiedlich sein können, wirken die Coulomb–Kräfte in unterschiedlicher Stärke und sind mal gerichtet, mal ungerichtet. Hier eine zusammenfassende Kurzinformation.

Name
 
Bindungsenergie
in kJ/mol
Richtungs­abhängigkeit
 

Wirkt immer nur eine einzige der oben genannten Kräfte ? Nein. Die Dispersionskräfte wirken in jedem Festkörper, also auch in Ionenkristallen, Metallen und allen anderen Festkörpern. Sie sind aber gegenüber der Ionen–, der Metallbindung und allen anderen Bindungen so schwach, dass man sie dort ohne weiteres vernachlässigen kann.

Kraft und Energie

Auf dieser Seite habe ich verschiedene Bindungstypen vorgestellt und zu jeder die Bindungsenergie angegeben. Je stärker die Kräfte sind, die zwischen den kleinsten Teilchen wirken, umso höher ist die Bindungsenergie.

Bei vielen Menschen erzeugen die Worte Bindungsenergie und Kraft eine eher mechanische Vorstellung von 2 Atomen, die durch eine Art Verbindungsbolzen zusammengehalten werden. Der Bindungsstrich suggeriert ja eine solche Vorstellung, und die käuflichen Atommodelle verstärken sie. Dann denkt man, je stärker der Verbindungsbolzen ist, umso mehr Kraft braucht man, um ihn zu zerbrechen. Wenn er aber gebrochen ist, dann ist die Bindung gelöst. Leider ist diese Vorstellung falsch.

Die Bindungsenergie der Bindung zwischen 2 Teilchen A und B ist diejenige Energie, die man braucht, um die Teilchen, die in der Bindung den Abstand d haben, in eine unendlich große Entfernung voneinander zu bringen, ohne sie sonst zu verändern. Es ist also nicht damit getan, den Abstand zu verdoppeln oder sonstwie zu vergrößern, denn dann wirken immer noch Anziehungskräfte, wenn auch schwächere. Das heißt, auch dann besteht noch eine, wenn auch schwache, Bindung.

Kurzes Nachdenken über den vorigen Absatz sollte Ihnen klarmachen, dass die Bindungsenergie unter anderem von diesen 3 Größen abhängt :

Die Bindungsenergie experimentell zu bestimmen ist schwierig. Sie können unter den Stichworten Gitterenergie und Born–Haber–Kreisprozess weiterlesen. Auch in J. Huheey u.a. : Anorganische Chemie (3. Auflage), S. 1155, stehen weiterführende Informationen zu diesem Thema.

 

 

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