Bromtrifluorid und Chlortrifluorid gehören zur Klasse der Interhalogenverbindungen. Das sind Stoffe, deren Moleküle 2 Arten von Halogenen enthalten, jedoch nichts weiter. Die Formel von Bromtrifluorid ist BrF3, die von Chlortrifluorid ClF3.
Bild 1 : |
Bild 2 : |
Koordination : Das Bromatom bzw. das Chloratom befindet sich im Zentrum des Moleküls. Die 3 Fluoratome sind an das Brom bzw. Chloratom gebunden. Sie ordnen sich in Form des Buchstabens T an. Während die Linien im Buchstaben T Winkel von genau 90° und 180° bilden, sind die Winkel zwischen den Bindungen im Bromtrifluorid und im Chlortrifluorid etwas kleiner. Auch die Bindungslängen sind ein wenig unterschiedlich (Lit. L204 und Lit. L205).
Die Moleküle der beiden Stoffe sind Tförmig.
Ansehen : Starten Sie die JSmolVisualisierung durch Anklicken des Links unter Bild 2. Sie können dort die Moleküle aus verschiedenen Richtungen betrachten, und Sie können Bindungswinkel und längen exakt nachmessen.
Fluor ist das Element mit der höchsten Elektronegativität, die von Chlor und Brom ist deutlich niedriger. Die Bindungen scheinen also recht polar zu sein. Sind sie vielleicht ähnlich polar wie die Bindung im Wassermolekül ? Und hat das vielleicht ähnliche Konsequenzen ? Könnte es sein, dass sich Ähnlichkeiten in den Eigenschaften von Bromtrifluorid und Chlortrifluorid einerseits und von Wasser andererseits finden ?
Sehen wir uns die Sache genauer an. 2 Tabellen helfen uns.
Elektronegativitäten | |||||
---|---|---|---|---|---|
H | O | F | Cl | Br | |
nach Pauling | 2,2 | 3,5 | 4,0 | 3,16 | 2,96 |
nach Allred und Rochow | 2,2 | 3,5 | 4,1 | 2,83 | 2,74 |
Differenz der Elektronegativitäten | |||
---|---|---|---|
H2O | BrF3 | ClF3 | |
nach Pauling | 1,3 | 1,04 | 0,84 |
nach Allred und Rochow | 1,3 | 1,36 | 1,27 |
Es gibt verschiedene Arten, die Elektronegativität eines Elements zu berechnen, und je nachdem, welche man wählt, bekommt man bei ihrer Differenz für Bromtrifluorid und Chlortrifluorid ganz ähnliche Werte wie für Wasser, oder etwas geringere, aber immer noch vergleichbar große. Man kann also davon ausgehen, dass die Polarität der Bindungen in den beiden Molekülen nur wenig geringer ist als in Wasser.
Bild 3 : Die Bromatome tragen eine positive Teilladung (δ+), die Fluoratome eine negative (δ). Dadurch treten zwischen den BrF3Molekülen DipolDipolWechselwirkungen auf, die in einer schwachen Bindung (hier gestrichelt gezeichnet) resultieren.
Bild 4 : Beide Moleküle (Wasser oben, Bromtrifluorid unten) sind im gleichen Maßstab. Die Wasserstoffbrückenbindung im Wasser ist kurz, weil die beteiligten Atome (H und O) klein sind und eng zusammen rücken können. Entsprechend ist die DipolDipolBindung im Bromtrifluorid länger.
Was hat das für Konsequenzen ? Die Fluoratome tragen eine negative Teilladung, die Brom und Chloratome eine positive Teilladung. Es wirken also Anziehungskräfte zwischen den Brom und Chloratomen eines Moleküls und den Fluoratomen eines benachbarten Moleküls. Dadurch bilden sich Cluster von Molekülen, wie in Bild 3 gezeichnet. Die Situation ist vergleichbar mit den Wasserstoffbrückenbindungen im Wasser.
Die Situation ist aber doch verschieden von der in Wasser, denn die Anziehungskräfte zwischen den Brom bzw. Chlortrifluoridmolekülen sind schwächer. Warum ? Die Größe der Atome ist der Grund.
Atomradien in pm | ||||
---|---|---|---|---|
H | 37 | F | 71 | |
O | 73 | Cl | 99 | |
Br | 114 |
Die Tabelle der Atomradien hilft uns weiter. Wir sehen, dass ein Bromatom deutlich größer als ein Sauerstoffatom ist. Und ein Fluoratom ist viel größer als ein Wasserstoffatom. Im Wassermolekül wirken die Anziehungskräfte also zwischen 2 kleinen Atomen, im Brom oder Chlortrifluorid zwischen 2 viel größeren. Die Mittelpunkte dieser größeren Atome haben einen größeren Abstand als die Mittelpunkte der kleinen Atome im Wassermolekül, wie in Bild 4 gezeichnet. Da die elektrostatische Anziehungskraft umgekehrt proportional dem Abstand der beiden Atome ist, ziehen sich die großen Atome im Brom und Chlortrifluorid weniger stark an als im Wasser. Die elektrostatischen Anziehungskräfte zwischen den Brom und ChlortrifluoridMolekülen sind deutlich schwächer als zwischen den Wassermolekülen.
Als nächstes sehen wir uns die Auswirkungen dieser zwischenmolekularen Anziehungskräfte an. Da die Kräfte hier schwächer sind als im Wasser, sollten es auch die Auswirkungen sein.
Die bekannteste Auswirkung der Wasserstoffbrücken im Wasser ist der ungewöhnlich hohe Siedepunkt des Wassers im Vergleich zu ähnlich aufgebauten Stoffen wie H2S (Schwefelwasserstoff), H2Se und H2Te. Dieses Beispiel ist ja in vielen Schulbüchern ausführlich besprochen, so dass ich hier nicht weiter darauf eingehe.
Was erwarten wir nun beim Bromtrifluorid und beim Chlortrifluorid ? Die Anziehungskräfte zwischen den Molekülen sind schwächer als beim Wasser, aber doch vorhanden. Also sollte auch hier ein höherer Siedepunkt als bei vergleichbaren Stoffen auftreten. Der Effekt sollte nicht so stark ausgeprägt sein wie beim Wasser, aber doch deutlich zu sehen.
Bei vergleichbaren Stoffen habe ich im vorigen Absatz geschrieben. Und was sind hier vergleichbare Stoffe ? Das führt zur Frage, wovon eigentlich der Siedepunkt eines Stoffes abhängt. Da gibt es mehrere Einflussgrößen. Die Größe der Moleküle, die Polarität der Bindungen und die Polarisierbarkeit der Moleküle gehören sicher dazu. Ich vergleiche Bromtrifluorid mit Brom und Chlortrifluorid mit Chlor. Beide haben jeweils, zumindest in grober Näherung, die gleiche Molekülmasse. In beiden Fällen vergleiche ich völlig unpolare Moleküle (Brom, Chlor) mit Molekülen, die deutlich polare Bindungen haben.
Siedepunkte | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
relative Molekülmasse in g/mol | Siedepunkt in °C |
relative Molekülmasse in g/mol | Siedepunkt in °C |
|||
Br2 | 159,8 | 58,8 | Cl2 | 70,9 | 34 | |
BrF3 | 136,9 | 125,8 | ClF3 | 92,5 | 11,8 |
Die Ergebnisse sehen Sie in der Tabelle und in Bild 5. Und, ja es passt. Die Siedepunkte der Trifluoride sind deutlich höher als die der Halogene. Das Modell der polaren Bindung und der zwischenmolekularen Anziehungskräfte konnte den Verlauf der Siedepunkte gut erklären.
Bild 5 : Die Siedepunkte von Chlortrifluorid und Bromtrifluorid liegen jeweils höher als die Siedepunkte von Chlor und Brom.
Bekannt ist die Eigendissoziation des Wassers. Darunter versteht man, dass ein Wassermolekül ein H+Ion abspalten kann und dass ein anderes Wassermolekül dieses H+Ion aufnehmen kann. Man kann den Vorgang durch diese Gleichung beschreiben.
2 H2O ⇄ H3O+ + OH
Natürlich läuft diese Reaktion nur in ganz geringem Maß ab, das heißt, das Gleichgewicht liegt weit auf der linken Seite, oder noch anders gesagt, nur ein ganz winziger Teil der Wassermoleküle reagiert. Und diese Reaktion ist auch keine Besonderheit des Wassers, sondern alle polaren Stoffe zeigen eine vergleichbare Reaktion, mal stärker, mal schwächer, je nachdem wie stark polar die Bindungen im Molekül sind.
Eine einfach zu messende Folge der Eigendissoziation ist eine, wenn auch sehr geringe, elektrische Leitfähigkeit des Wassers.
Und wie sieht es bei Bromtrifluorid und Chlortrifluorid aus ? Zeigen diese beiden Stoffe auch Eigendissoziation und elektrische Leitfähigkeit ?
Ja. Die Tabelle verrät uns, dass Bromtrifluorid eine wesentlich größere Leitfähigkeit als Wasser hat. Bild 6 hilft, die Leitfähigkeit von Bromtrifluorid mit der anderer Stoffe zu vergleichen.
elektrische Leitfähigkeit | ||
---|---|---|
Stoff | Temperatur in °C |
elektrische Leitfähigkeit in 1/Ωcm |
Wasser, extrem rein | 18 | 4 ⋅ 108 |
Bromtrifluorid | 25 | 8 ⋅ 103 |
Bild 6 : Die elektrische Leitfähigkeit von Bromtrifluorid liegt um 5 Zehnerpotenzen höher als die von Wasser und damit fast schon im Bereich von Elektrolyten (verdünnte Säuren oder Salzlösungen).
Die Ursache der Leitfähigkeit ist die Eigendissoziation. Im Gegensatz zum Wasser, das ein H+Ion abspaltet, gibt Bromtrifluorid ein FIon ab.
2 BrF3 ⇄ BrF2+ + BrF4
BrF3 und ClF3 haben mäßig stark polare Bindungen, einen vergleichsweise hohen Siedepunkt und eine deutlich erkennbare elektrische Leitfähigkeit.
Ja, natürlich ! Die Polarität der Bindungen im Bromtrifluorid, Chlortrifluorid und Wasser ist ähnlich, und so hatten wir uns zu Beginn gefragt, ob auch die Auswirkungen dieser Bindungen ähnlich sind. Die Antwort heißt ja. Ein höherer Siedepunkt als erwartet und elektrische Leitfähigkeit treten hier wie dort auf, und man kann Bromtrifluorid und Chlortrifluorid zu den Verwandten des Wassers zählen.
Nein, nicht wirklich ! Die eben genannten Erscheinungen sind nicht spezifisch für die 3 Stoffe, sondern treten bei vielen polaren Verbindungen auf. Die 3 Stoffe sind Mitglieder der Großfamilie polare Stoffe, mehr aber auch nicht. Eine enge Verwandtschaft kann man ihnen nicht zuschreiben. Die Wasserstoffbrückenbindungen im Wasser unterscheiden sich doch von den DipolDipolWechselwirkungen im Bromtrifluorid und Chlortrifluorid.
Anfangs haben wir gefragt, ob Bromtrifluorid und Chlortrifluorid die wilden Verwandten des Wassers sind. Aber wo ist die Wildheit ? Wir finden sie bei der Reaktionsfähigkeit der beiden Stoffe.
Beide reagieren mit fast allem. Meist heftig, oft explosionsartig, Chlortrifluorid stärker als Bromtrifluorid. Mit Metallen, organischen Stoffen und anderen leicht reagierenden Materialien sowieso. Und sie reagieren mit Stoffen, die man als nicht reaktionsfähig ansieht : Gold, Platin, Iridium, Xenon, Siliziumdioxid (Sand, Glas, Quarz) und anderen Oxiden, und mit Stoffen, die man als Schutz vor Feuer kennt : Beton, Mauerwerk, Keramik, Gestein, Asbest. Chlortrifluorid ist einer der reaktivsten Stoffe überhaupt. Bromtrifluorid steht ihm nur wenig nach. Ein Beispiel :
3 SiO2 + 4 BrF3 → 3 SiF4 + 2 Br2 + 3 O2
Wie kann man die beiden aufbewahren ? Wenn sie doch mit allem reagieren. Nun ja, sie reagieren mit fast allem. Mit ihren eigenen Reaktionsprodukten reagieren sie nicht. Das heißt, mit Stoffen, die bei der Reaktion der beiden mit irgendwelchen Stoffen entstanden sind, reagieren sie nicht mehr. Klar. Man kann sie in Behältern aus Eisen, Kupfer oder Nickel aufbewahren. Diese reagieren zwar mit den beiden, bilden dabei aber eine Schutzschicht aus Eisenfluorid, Nickelfluorid oder Kupferfluorid, die das Metall vor weiteren Angriffen bewahrt.
BrF3 und ClF3 sind extrem reaktiv.
Hoffentlich passiert nichts. In den 1950er Jahren sind, obwohl man Sicherheitsmaßnahmen getroffen hatte, aus einem Tankfahrzeug 900 l Chlortrifluorid ausgelaufen und haben ein metertiefes Loch in den Boden gebrannt. Heute weiß man besser damit umzugehen. Der SpektrumVerlag hält Chlortrifluorid für die zweitgefährlichste Chemikalie der Welt.
Kann man so etwas überhaupt sinnvoll verwenden ? Und sollte man es wirklich herstellen ?
Die Hauptanwendung von Chlortrifluorid (mehrere Tonnen pro Jahr) ist die Herstellung von Uranhexafluorid (UF6) : U + 3 ClF3 → UF6 + 3 ClF. Dieses wird in Kernreaktoren, zur Aufbereitung von Kernbrennstoffen und (auch wenn es nicht so deutlich gesagt wird) für Atombomben gebraucht. Ich denke, man sollte die Hände davon lassen.
Andere Anwendungen für Chlortrifluorid sind das industrielle Ätzen in der Halbleiterindustrie und die Herstellung von XenonVerbindungen. Bromtrifluorid wird zur Herstellung von Fluoriden benutzt, die auf anderen Wegen nicht zugänglich sind, zum Beispiel KF + BrF3 → KBrF4.
ClF3 | BrF3 | |
Schmelzpunkt in °C | 76,3 | 8,8 |
Siedepunkt in °C | 11,8 | 125,8 |
Dichte, gasförmig, bei 21 °C und 1013 mbar in g/l |
3,91 | |
Dichte, flüssig, in g/cm3 | 1,85 (11,8 °C) | 2,80 (25 °C) |
elektrische Leitfähigkeit bei 25 °C in 1/Ωcm |
8 ⋅ 103 | |
CAS-Nr. | 7787715 | 7790912 |
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