4.1.4. Enthalpie

In diesem Abschnitt geht es um eine Kategorie von Systemen, die im ersten Moment sehr speziell aussieht. Jedoch fallen so gut wie alle chemischen Reaktionen und Phasenumwandlungen in diese Kategorie. Es ist also genau das, was gebraucht wird, um die Struktur der Stoffe zu verstehen und die „wichtigste Frage” zu beantworten.

Enthalpieänderung an einem geschlossenem System

Bild 1 : Geschlossenes System, an dem Enthalpieänderung stattfindet.

Ich betrachte Systeme, die erstens geschlossen sind, zweitens während des gesamten Energieaustauschs einen konstanten Druck besitzen und bei denen drittens keine andere Arbeit als Volumenarbeit geleistet wird. (Volumenarbeit ist Arbeit, bei der sich das Volumen des Systems verändert. Sie kommt bei Reaktionen vor, bei denen Gase gebildet oder verbraucht werden.) Bild 1 zeigt schematisch ein solches System.

Nun folgt einer der anspruchsvollsten Teile dieses Kapitels. Es wird gerechnet. Wenn Sie wollen, können Sie ein paar Zeilen überspringen und hinter Gleichung 4.7. weiterlesen.

Volumenarbeit berechnet sich nach der Formel

W = p ⋅ V ____________ Gleichung 4.3.

Dabei ist p der Druck und V das Volumen.

Diese Arbeit W ist, wie in Gleichung 4.1., die vom System geleistete Arbeit, die aus innerer Energie entspringt. Sie gibt also den Unterschied zwischen dem Energiegehalt des Systems vor und nach dem Energieaustausch an. Beachtet man das, sollte man die Formel so schreiben.

W = Δ(p ⋅ V) __________ Gleichung 4.4.

Da entsprechend der Voraussetzung der Druck konstant ist, ergibt sich

W = p ⋅ ΔV ____________ Gleichung 4.5.

Das wird in Gleichung 4.2. eingesetzt. Die Arbeit wird vom System geleistet, das heißt, die zugehörige Energie geht ihm verloren. Die Arbeit ist also für das System ein Verlust und wird deshalb negativ gezählt. Man erhält

ΔU = –p ⋅ ΔV + Q _______ Gleichung 4.6.

Gleichung 4.6. wird nach Q aufgelöst.

Q = ΔU + p ⋅ ΔV ________ Gleichung 4.7.

Q ist, wie in Gleichung 4.1., die vom System abgegebene Wärme. Um den gleich folgenden Begriff der Enthalpie zu verstehen, sollten Sie sich einmal bewusst machen, welchen Teil seiner Wärmeenergie das System abgibt. Stellen Sie eine heiße Kaffeetasse auf den Tisch, wird sie nicht nur 10 Grad kälter und bleibt dann bei dieser Temperatur, sondern sie gibt soviel Wärme ab, bis sie die Temperatur der Umgebung erreicht hat. Das heißt, sie gibt die maximal mögliche Wärmeenergie ab.

Die Größe Q in Gleichung 4.7. ist also nicht nur irgendwelche vom System abgegebene Wärme, sondern es ist die maximal mögliche Wärmeenergie, die das System abgeben kann. Deshalb bekommt sie einen eigenen Namen. Sie heißt Enthalpie, besitzt das Formelzeichen H und die Einheit Joule (J). Gleichung 4.7. sieht nun so aus.

ΔH = ΔU + p ⋅ ΔV _______ Gleichung 4.8.

Die Enthalpie H eines geschlossenen isobaren (der Druck ist konstant) Systems, das nur Volumenarbeit leisten kann, ist die Wärmemenge, die es mit der Umgebung austauschen kann. Man kann es bildhaft auch so ausdrücken.

Die Enthalpie ist der Wärmeinhalt eines Systems.

Wer Chemie betreibt, interessiert sich nur am Rand für das Abkühlen heißen Kaffees, und eher für chemische Reaktionen. Bei vielen chemischen Reaktionen wird Wärme frei. Das heißt, vor der Reaktion, wenn das System die Ausgangsstoffe enthält, besitzt es eine größere Enthalpie als nach der Reaktion, wenn es aus den Produkten besteht. Die Differenz zwischen den beiden Enthalpien nennt man die Reaktionsenthalpie. Oft bekommt sie nur das Formelzeichen ΔH, aber man kann zur Unterscheidung von anderen Enthalpien noch einen Index anfügen.

ΔHR = HProdukte – HEdukte ____ Gleichung 4.9.

In Gleichung 4.9. kommt die Enthalpie der Produkte und die der Edukte (Ausgangsstoffe) vor. Beide kennt man nicht, und man braucht sie auch nicht. Nur die Differenz, das heißt die frei gewordene Wärme, ist wichtig. Da die Wärme dem System (also dem Reaktionsgefäß samt Inhalt) verloren gegangen ist, ist die Reaktionsenthalpie in diesem Fall negativ. Das ist bei exothermen Reaktionen immer so. Bei endothermen Reaktionen, wenn dem System Energie (Wärme) zugeführt werden muss, hat es einen Energiegewinn, und die Reaktionsenthalpie ist positiv.

Andere Vorgänge, bei denen Wärme gebraucht wird, sind die Änderungen des Aggregatzustands : Schmelzen, Verdampfen, Sublimieren. Man bezeichnet als Schmelzenthalpie eines Systems (zum Beispiel eines Eisbrockens) die Differenz zwischen der Enthalpie nach dem Schmelzvorgang (also die der Flüssigkeit bei der Schmelztemperatur) und der Enthalpie vor dem Schmelzen (des Feststoffes bei der Schmelztemperatur). Für die anderen beiden Vorgänge gilt Analoges.

Schmelzenthalpie :
_____ ΔHM = HSystem flüssig am Schmelzpunkt
___________ HSystem fest am Schmelzpunkt
Verdampfungsenthalpie :
_____ ΔHV = HSystem gasförmig am Siedepunkt
___________ HSystem flüssig am Siedepunkt
Sublimationsenthalpie :
_____ ΔHS = HSystem gasförmig am Sublimationspunkt
___________ HSystem fest am Sublimationspunkt
Gleichung 4.10. : Enthalpien bei Phasenumwandlungen

Alle 3 Vorgänge sind immer endotherm. Die zugehörigen Enthalpieänderungen sind also immer positiv. Erstarren (Gefrieren), Kondensieren und Resublimieren sind immer exotherm, die Enthalpieänderungen immer negativ.

Analog ist die Enthalpie für den Vorgang des Auflösens (zum Beispiel von Kochsalz oder Zucker in Wasser) definiert.

Lösungsenthalpie :
_____ ΔHL = HSystem nach dem Lösungsvorgang
___________ HSystem vor dem Lösungsvorgang
Gleichung 4.11. : Lösungsenthalpie

4.1.5. Die wichtigste Frage – erste Zwischenbilanz

Warum laufen einige chemische Reaktionen ab, und andere nicht ? Oder, genauer gefragt, warum laufen bei Raumtemperatur und ohne dass man irgendwie nachhilft, einige Reaktionen ab, und andere nicht ? Schon früh erkannten die Menschen den Zusammenhang zwischen Reaktionen und Wärme. Ich will diese vagen Worte in eine These formulieren und prüfen.

These 1  – Läuft eine Reaktion freiwillig und spontan ab, so wird dabei Wärme frei.

Sicher kann man schnell eine Menge Vorgänge nennen, die die These unterstützen. Im Labor gehören zum Beispiel die Neutralisation von Salzsäure und Natronlauge oder die Reaktion unedler Metalle mit Säuren dazu, außerhalb viele Stoffwechselvorgänge. Aber das hilft nicht. Wenn die These richtig ist, muss sie für alle Reaktionen zutreffen.

Ich muss also nach Einwänden gegen die These suchen, und da werde ich schnell fündig.

Erster Einwand  – Hier geht es darum, dass viele Reaktion einen „Anschub” brauchen. Holz brennt, aber nicht von selbst. Man muss es entzünden, ihm also kurzzeitig Energie zuführen. Erst dann kann man die Verbrennungswärme nutzen. Wasserstoff und Sauerstoff kann man jahrelang zusammen in einem Gefäß lagern, ohne dass etwas passiert. Erst ein kleiner Zündfunke lässt die bekannte Knallgasreaktion ablaufen. Die kurz zugeführte Energie heißt Aktivierungsenergie. Nach dieser Zufuhr läuft die Reaktion freiwillig ab, und, ganz wichtig, in der Gesamtbilanz wird Energie frei.

Diese Reaktionen laufen zwar freiwillig ab, das heißt, wenn sie erst mal laufen, dann laufen sie freiwillig weiter. Sie laufen aber nicht spontan ab. Diese Reaktionen sind kein wirklicher Einwand gegen die These.

Über die Aktivierungsenergie werde ich weiter unten in diesem Kapitel (in Kap. xx) schreiben.

Zweiter Einwand  – Ein Beispiel für den zweiten Einwand ist das Rosten von Eisen. Man bemerkt keine Wärmeentwicklung. Das heißt aber nicht, dass keine vorhanden ist, sie ist nur so gering, dass man sie ohne genaues Messgerät nicht nachweisen kann. Dieser Einwand war wirklich leicht zu entkräften.

Dritter Einwand  – Andere Beispiele widersprechen der These in einer grundlegenderen Art. Eines ist die Reaktion von Bariumhydroxid und Ammoniumthiocyanat, die freiwillig und spontan stattfindet und bei der eine Abkühlung des Reaktionsgemisches um bis zu 20 °C stattfindet. Wärme wird also nicht frei, sondern verbraucht. Bekannter sind Kältemischungen. Löst man Natriumnitrat in Wasser (ein Vorgang, der ebenfalls von selbst abläuft), erhält man eine Lösung, die kälter ist als die Ausgangsstoffe. Mischt man Natriumchlorid und Eis von 0 °C, kann man Temperaturen von –20 °C erreichen.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Abnahme der Enthalpie eines Systems eine wichtige Rolle bei der Frage spielt, ob eine chemische Reaktion oder ein anderer Vorgang von selbst abläuft. Es muss aber noch mindestens eine andere Einflussgröße geben. Eine dieser Größen habe ich eben genannt – es ist die Aktivierungsenergie. Eine andere ist die Entropie. Um sie geht es im nächsten Abschnitt.

Fußnote 1 : Endgültige Antworten gibt es im Bereich der Wissenschaft nicht. Gemeint ist hier eine Antwort, die auf meinen Seiten nicht weiter ausgebaut wird.

Eine zweite Zwischenbilanz finden Sie in Kapitel 4.1.9. Endgültige (→ Fußnote 1) und ausführliche Antworten auf die „wichtigste Frage” finden Sie in Kapitel xxx (demnächst).

Fußnote 1 : Endgültige Antworten gibt es im Bereich der Wissenschaft nicht. Gemeint ist hier eine Antwort, die auf meinen Seiten nicht weiter ausgebaut wird.

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